Christoph WULF

Professeur d'anthropologie et de philosophie de l'éducation, cofondateur du Centre interdisciplinaire d'anthropologie historique de l'Université libre de Berlin.

Partage

Das duale System in Deutschland

Grundzüge des dualen Systems

In Deutschland erfolgt der Eintritt junger Leute in die Berufswelt zwei Mal: einmal im Rahmen ihrer beruflichen Ausbildung und ein zweites Mal nach deren Abschluss. Zwei Drittel aller Deutschen habe ihre Berufsausbildung im Rahmen des dualen Systems absolviert, in dem der Eintritt in den Beruf zunächst in einer Ausbildungsphase von drei bis vier Tagen wöchentlich erfolgt. Diese Phase wird von einer ein bis zwei Tage umfassenden gleichzeitigen Ausbildung in der Berufsschule ergänzt. Dieser duale Charakter der Berufsausbildung, der aus einer betrieblichen Phase und einer schulischen Phase besteht, ist das Charakteristikum der Berufsausbildung in Deutschland. Je nach Ausbildungsberuf dauert diese Ausbildung zwischen zwei und dreieinhalb Jahren.

Die Berufsausbildung besteht aus der Vermittlung theoretischen Wissens und praktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die theoretische Wissensvermittlung erfolgt in einer Berufsschule oder einer außerbetrieblichen Bildungseinrichtung, durch die die praktische betriebliche Ausbildung ergänzt wird. Die Berufsausbildung ist in Deutschland durch vier Elemente gekennzeichnet:

  • die Vermittlung einer breit angelegten beruflichen Grundbildung;
  • die Vermittlung der für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse;
  • der Erwerb der erforderlichen Berufserfahrung;
  • die Durchführung der Berufsausbildung in einem geordneten, gut strukturierten Ausbildungsgang.

Das Berufsbildungsgesetz und die Handwerksordnungen bilden die grundlegenden Regelungen der Berufsausbildung. Die Qualität der Berufsausbildung hängt wesentlich davon ab, in wieweit die Kooperation zwischen den beiden voneinander unabhängigen Institutionen, „Betrieb“ und „Berufsschule“, gelingt. Im Jahr 2011 erfolgten 70 Prozent der Berufsausbildungen im dualen System; das sind 8 Prozent mehr als 2009. Selbst in akademischen Berufen wie in den Lehrerberufen oder bei den Ärzten und den Juristen gibt es eine mehrjährige Praxisphase, in der grundlegendes praktisches Wissen erworben wird. Die mit einer Prüfung abgeschlossene Praxisphase ist Voraussetzung für die Anstellung in einem dieser Berufe.

Die Situation der Jugendlichen

Für die Ausbildung eines Jugendlichen wird ein Ausbildungsvertrag zwischen dem Betrieb und dem Auszubildenden geschlossen. Er bildet auch die Grundlage für die Bezahlung des Auszubildenden, die in den verschiedenen Wirtschaftszweigen unterschiedlich ist und deren Höhe zwischen dem ersten und dem dritten Ausbildungsjahr differiert. Im Baugewerbe erhält ein Auszubildender zwischen 554 Euro im ersten und 1222 Euro im dritten Jahr; in der chemischen Industrie sind es zwischen 655 Euro und 876 Euro, im Einzelhandel zwischen 604 und 819 Euro. Wenn sich der Auszubildende im Betrieb bewährt hat, besteht die Möglichkeit, dass er nach seiner Ausbildung von dem Betrieb, in dem er die Ausbildung gemacht hat, übernommen wird.

Anfang 2000 gab es in Deutschland etwa 1,7 Millionen Jugendliche in 348 staatlich anerkannten Ausbildungsberufen. Dabei bildeten die Betriebe der Industrie und des Handels 49 Prozent der Auszubildenden aus. Bei den Handwerksbetrieben waren es 38 Prozent; in den übrigen Bereichen wie Landwirtschaft, öffentlicher Dienst, Freie Berufe, Hauswirtschaft und Seeschifffahrt waren es knapp 15 Prozent.

Im Jahr 2011 gab es nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung 599800 Ausbildungsplätze für 646 000 Bewerber; abgeschlossen wurden 570140 Ausbildungsverträge. Schwierig an Betriebe zu vermitteln sind Jugendliche, die keinen Schulabschluss haben. Wenn sie noch schulpflichtig sind, besuchen sie dann meistens ein Berufsvorbereitungsjahr bzw. Berufseinstiegsjahr, mit dessen Hilfe die Jugendlichen in die Lage versetzt werden sollen, nach einem Jahr eine Berufsausbildung zu machen. In diesem Jahr sollen die Jugendlichen eine Stärken-Schwächenanalyse machen, eine Berufsorientierung erhalten, berufliche Grundfertigkeiten und eine elementare berufs- und betriebsorientierte Qualifizierung erwerben.

Immer wieder wird darauf verwiesen, dass zur Ausbildungsreife eine fachliche Kompetenz, eine soziale Kompetenz und eine persönliche Kompetenz gehören. Das heißt, zur Berufsausbildung gehört auch der Erwerb von allgemeinbildenden Kompetenzen. Dies ist zweifellos richtig. Dennoch steht im Mittelpunkt des dualen Systems die Arbeit im Betrieb. Es wird davon ausgegangen, dass die Praktiken, die für die Arbeit in einem Beruf wichtig sind, auch am besten im Berufsfeld und im Betrieb gelernt werden. Dabei handelt es sich in hohem Maße um ein „learning by doing“. Für die vielen mittelständischen Betriebe, die das Zentrum der deutschen Wirtschaft ausmachen, ist diese Form des Lernens besonders wichtig. Einmal bietet sie den Auszubildenden von Anfang an die Möglichkeit, Erfahrungen bei der Arbeit zu machen und dabei eine professionelle, soziale und persönliche Kompetenz zu erwerben. Dadurch sind die Auszubildenden von vornherein mit der Ernstsituation in einem Berufsfeld konfrontiert. Zum anderen hat der Betrieb durch die Mitarbeit der Auszubildenden von Anfang an eine Arbeitskraft, die er in wachsendem Ausmaß einsetzen kann. Besonderes bei den kleineren und mittleren Betrieben ist diese frühe „Mitarbeit“ auch von erheblicher ökonomischer Bedeutung.

Die mimetische Vermittlung praktischen Wissens

In allen Berufsfeldern spielt mimetisches Lernen, also Lernen durch Formen kreativer Nachahmung, eine wichtige Rolle. Wenn die Gestaltung einer Berufspraxis im Zentrum steht, ist mimetisches Lernen auch bei akademischen wie z.B. pädagogischen, medizinischen und juristischen Berufen von zentraler Bedeutung. Der zu einem beträchtlichen Teil mimetisch erfolgende Erwerb praktischen beruflichen Wissens steht im Zentrum der dualen Berufsausbildung. Zu den wichtigsten Bereichen der dualen Ausbildung und der in diesem Ausbildungssystem wichtigen praktischen Ausbildung gehören: Handwerk, Industrie und Handel, Dienstleistungen Schifffahrt, Landwirtschaft, Freiberufe, Öffentlicher Dienst. Zwar spielen mimetische Lernprozesse auch in der Berufsschule eine Rolle, doch sind sie vor allem für die drei bis vier Tage umfassende betriebliche Ausbildung von konstitutiver Bedeutung. Hier stehen die mimetische Aneignung einer Berufspraxis und die Entwicklung eines praktischen für das Berufsfeld wichtigen Wissens im Mittelpunkt. In einigen Fällen wird dieses durch eine überbetriebliche Ausbildung ergänzt, mit der eine zu starke Spezialisierung der Betriebe ausgeglichen werden soll.

Im Zentrum des dualen Systems in Deutschland steht die Überzeugung von der Bedeutung der betrieblichen Praxis für die Ausbildung der Jugendlichen. Jugendliche werden daher schon früh in die konkrete Arbeit in den Betrieben eingeführt. Möglichst bald sollen die Auszubildenden das praktische Wissen erwerben, das sie in die Lage versetzt, ihre Aufgaben in den Betrieben wahrzunehmen. Praktisches Wissen unterscheidet sich von der Weitergabe systematischen sprachbasierten Wissens. Sprachbasiertes Wissen zielt z.B. auf die Vermittlung von Begriffen und Methoden, mit denen betriebliche Sachverhalte und Probleme verstanden und diskutiert werden können, um zu möglichst guten Problemlösungen zu gelangen. Praktisches Wissen soll die Auszubildenden befähigen, die in den Betrieben erforderlichen Arbeitsprozesse durchzuführen. In vielen Fällen bedarf es dazu körperlicher Praktiken, die mithilfe mimetischer Prozesse vermittelt werden. Beim mimetischen Lernen erfolgt die Aneignung praktischen Wissens in Prozessen der Nachahmung, in denen die Auszubildenden versuchen, den erfahrenen Praktikern „ähnlich“ zu werden. In diesen Prozessen der Angleichung der Auszubildenden an die professionell Handelnden, die ihnen als Vorbilder dienen, erwerben die Auszubildenden zahlreiche anders nicht zu vermittelnde praktische Kompetenzen, die sie für die betriebliche Arbeit qualifizieren. Diese mimetischen Prozesse sind keine bloßen Reproduktionsprozesse; vielmehr sind sie eigenständig und häufig sogar kreativ. Jeder Auszubildende entwickelt seine Form, die erforderlichen betrieblichen Praktiken zu realisieren, so dass das Wie der Praktiken ein erhebliches Spektrum umfasst, in dem sich die Performativität und Vielgestaltigkeit des praktischen professionellen Wissens zeigt.

Ausblick

Lernen findet in der Arbeitswelt nicht nur durch bewusste Einsicht und Erkenntnis statt, sondern ist in weiten Bereichen ein körperliches Lernen, das die Plastizität des Körpers voraussetzt und in dem Bilder, Schemata, Verhaltensweisen in mimetischen Prozessen inkorporiert werden. Auszubildende sehen und erfahren, wie Aufgaben in der Arbeitswelt angegangen und bewältigt werden. Indem sie diese Prozesse wahrnehmen, entstehen in ihren Körpern Bilder, Schemata und Verhaltensmuster, die sie in die Lage versetzen, in ähnlichen Situationen entsprechend zu handeln. Die in mimetischen Prozessen inkorporierten Wahrnehmungen verbinden sich mit den bereits im Imaginären vorhandenen Bildern, Schemata und Verhaltensweisen. Diese Prozesse, die auf die Teilnahme an arbeitsweltlichen Praktiken ausgerichtet sind, vollziehen sich weitgehend unbewusst. Sie führen zur Entstehung eines praktischen Körperwissens, ohne das professionelles Handeln in der Arbeitswelt nicht möglich ist.

In mimetischen Prozessen spielen die alltäglichen Bewegungen des Körpers und die Praktiken der Arbeit eine zentrale Rolle. Sie verbinden die Arbeitswelt mit den in ihr tätigen individuellen Menschen. In diesen mimetischen Prozessen erschließen sich die Menschen die Dinge, mit denen in der Arbeitswelt umgegangen wird, z.B. den Raum und den sozialen und kulturellen Kontext, in dem sie sich befinden. In einer Verschränkung der Arbeitswelt mit den Körpern der Menschen etwa beim „training on the job“ entsteht ein praktisches arbeitsweltliches Wissen.

Der Erfolg des dualen Berufsausbildungssystems beruht zum großen Teil darauf, dass die Jugendlichen bereits mit der beruflichen Praxis vertraut sind, wenn sie nach Abschluss ihrer Ausbildung in die Arbeitswelt eintreten.

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